Gisa Hausmann

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir laden Sie herzlich ein, unsere neue Ausstellung Blumen – Annäherungen an ein verschrienes Sujet
vom 30. Mai bis 28. Juli 2020 zu besuchen.

Eröffnung mit voriger Anmeldung: Fr 29. Mai 2020, 14–22 Uhr

Finissage: Di., 28. Juli von 17–22 Uhr

Ausstellungsdauer: 30. Mai – 28. Juli 2020

 

Einen digitalen Rundgang durch die Blumenausstellung finden Sie hier.

 


Künstlerinnen und Künstler

Galerieraum

Kabinett

Abbildung: Gisa Hausmann, Seidenmohn, 1996, 38 x 56 cm (Ausschnitt)


Blumen – Annäherungen an ein verschrienes Sujet

Die drei Positionen im großen Hauptraum der Galerie, Gisa Hausmann, Marina Koldobskaja und Ira Schneider, zeigen in ihrer Unterschiedlichkeit eine sehr breite Palette möglicher Herangehensweisen an das Sujet Blumen:

Die Papierarbeiten der Berlinerin Gisa Hausmann (1942–2015) stellen mit realistischen Details und in an Jugendstil erinnerder Manier Gewächshausblumen dar, Blumen, die offensichtlich kunstvoll gezüchtet sind. Mit äußerster Akribie und meisterhafter Beherrschung der handwerklichen Aspekte kombiniert Hausmann druckgrafische Techniken mit freiem, lockeren Pinselstrich in Aquarell in strahlenden Farben. Sie verwendet Schrägschnittpassepartouts und vergoldete Rahmen – ihre Werke sind bis ins letzte Detail durchkomponiert. Einige Werke in ihrem künstlerischen Nachlass, den die Galerie Wolf & Galentz betreut, sind nicht fertiggestellt, an einigen Werken arbeitete sie über viele Jahre immer wieder. Wir zeigen eine Auswahl der besten Arbeiten aus der Serie Florale Pracht in Collage, Druckgrafik, Aquarell und auch ein Werk in der von Hausmann erfundenen Technik Hapix-Set. Beim Hapix-Set verwendet Hausmann Fragemente eigener Arbeiten aus verschiedenen Perioden und verändert diese am Computer zu anderen Formen und Farben und erschafft vollständig neue Kompositionen und malerische Zusammenhänge.

 

Marina Koldobskaja (* 1961) malt in Acryl auf Papier und Leinwand in reduzierter Formgebung expressive Blumen, einzeln, zu mehreren oder in ganzen Feldern; Blumenbeete, Blumenwiesen und Drogen-Plantagen, wie sie selbst schreibt. Sie lebt und arbeitet in Sankt Petersburg in Russland.

Koldobskajas Blumen haben eine Anmutung von Einfachheit, sie scheinen ganz simpel. Klare Linien, leuchtende Farbflecken, ein sparsamer Hintergrund. Plakatfarben in Schwarz-Weiß-Rot, Blau-Gold – „der heraldische Lakonismus der Palette“, wie sie selbst das nennt.

Wenn man die Bilder jedoch in die Hand nimmt, stellt sich heraus, dass die Klarheit das Ergebnis langer konzentrierter Arbeit ist: das Gewicht der Bilder, wenn man sie in die Hand nimmt, verrät die vielen Farbschichten, die vielen Übermalungen, und damit auch die lange Zeit, die an die Künstlerin an ihnen gearbeitet hat, um zur vollkommenen Komposition zu finden. Diese Dialektik ist spürbar in den Bildern: das Einfache, das einen kunstvolle, intensive Tätigkeit voraussetzt.

Der aus New York stammende Videokünstler Ira Schneider (* 1939) fotografiert Blumen mit einem Hohlspiegel, unter anderem in seinem eigenen kleinen Garten im Wedding. Die so entstehenden Fotografien wirken fast wie ungegenständliche Gemälde; die Verzerrung bewirkt eine starke Abstraktion. Schneider weist darauf hin, dass Menschen zu 67 Prozent aus Wasser und zu 33 Prozent aus Blumen bestehen. Darüber hinaus wird bei Wolf & Galentz eine neuere Videoarbeit von ihm gezeigt. Schneider ist bereits seit Entstehung der Videokunst in diesem Genre aktiv, als einer der wichtigsten Pioniere der Videokunst ist er für mehrere bahnbrechende Erfindungen im damals noch jungen Medium in den 1960er-Jahren verantworlich.

 

Jeweils ein oder zwei Blumenbilder, schwerpunktmäßig Farbradierungen, von einer Reihe weiterer Künstlerinnen und Künstler werden im Kabinett, dem kleinen hinteren Raum der Galerie gezeigt:

Mariam Aslamasjan, Gerhart Bergmann, Siegfried Dondorf, Brigitta Friedrich, Klaus Fußmann, Archi Galentz, G. von Galentz, Christl Maria Göthner, Joseph Heeg, Alexander Horn, Thomas Kaemmerer, Philipp Mager, Fritz Marlier, Oleg Neishtadt, Nazeli Nikogosjan, Jürgen Parusel und Jürgen Wittdorf.

Die Werke sind klein- oder mittelformatig, es sind neben den Radierungen auch Ölgemälde, Gouachen und Schüttbilder – ein Garten mit ganz unterschiedlichen Blumen.


Blumen – ein verschrienes Sujet

von Anna E. Wilkens

Gisa Hausmann, eine der Künstlerinnen in der Blumenausstellung bei Wolf & Galentz, erzählt in ihren Lebenserinnerungen:

Und das Verrückte passierte, dass in der Zeit dieses Elends, dieses schweren seelischen Elends, ich von jetzt auf gleich das zwingende Bedürfnis hatte, mich mit floralen Motiven arbeitsmäßig auseinanderzusetzen.

„Verrückt“ ist das Unvereinbare, der Widerspruch zwischen Elend und dem Bedürfnis nach diesem Sujet, das also eigentlich unmöglich ist. Der Widerspruch ist nicht nur der zwischen leidvoller Situation und Sujet, sondern auch der zwischen seriöser Kunst und Blume als Motiv. Hausmann fährt in ihrer Erzählung fort:

Eine Kollegin, die mich besuchte, verlor schier die Fassung, die sagte, sie habe erwartet, dass ich nun Zigarettenkippen, umgestürzte alkoholische Flaschen und sonstige Zeugen meines Elends malen würde. Und sie sagte: Wie ist das möglich, in einer solchen Situation, sich mit Blumen auseinanderzusetzen? Sie meinte dann irritiert: Aber die sind ja wunderschön, die Arbeiten. Das war dann die Kehrtwende.
(Gisa Hausmann, Diktat, Datei 150926_002.mp3 vom 26.09.2015)

Die Kollegin ist entsetzt, denn sie kennt Hausmann als seriöse Künstlerin, wozu die Blumen nicht zu passen zu scheinen. Aber sie können sich durch ihre Schönheit rehabilitieren. Es ist letztlich genau dieser unaufgelöste Widerspruch, der auch in den Bildern selbst enthalten ist: Ambivalenz, Unbequemes, Infragestellung von Konventionen sind alles Merkmale, die zeitgenössische Kunst ausmachen, wenn sie als Kunst ernst genommen werden will (mindestens in einigen Definitionen von Kunst). Dennoch sollte Hausmann für den Rest ihres Lebens das Wort „Blumenbilder“ vermeiden und sie stattdessen „floral“ nennen.

„Blumen zu malen gilt in der zeitgenössischen Kunst als unanständig“, schreibt Marina Koldobskaja ganz explizit. Sie ist eine weitere Künstlerin der Ausstellung, eine Generation jünger als Hausmann. Wenn man trotzdem Blumen male, riskiere man den eigenen Ruf als seriöse Künstlerin (man wäre dann stattdessen SonntagsmalerIn, Hausfrau, Kind in einem Malkurs oder ausschließlich an schnellem kommerziellen Erfolg interessiert). Als wäre ein Kunstwerk auf sein Motiv reduzierbar.
(Text auf der Homepage von Marina Koldobskaja, http://marinakoldobskaya.net/artist-work/painting/probably-paradise)

Dieses Phänomen jedenfalls, das Koldobskaja „unanständig“ nennt (неприлично), ist im Titel der neuen Ausstellung bei Wolf & Galentz mit „verschrien“ bezeichnet.

Blumen gelten als dekorativ, und das Dekorative ist unvereinbar mit zeitgenössischer Kunst – so jedenfalls die Behauptung im Diskurs über zeitgenössische Kunst, der sagt, dass Kunst immerzu eindeutig mindestens schwierig, hässlich, irgendwie gebrochen oder gleich politisch sein soll – verblüffend ist, dass die Angst vor dem Kommunikationsdesign nicht ebenso groß ist wie die vor dem Dekorativen. Dabei wäre sie durchaus berechtigt, denn wenn ein Kunstwerk die feine Balance zwischen dem, was sich nicht in Worte fassen lässt, und dem offensichtlich Politischen nicht hält, kann es entweder in die eine Richtung kippen und didaktischer Slogan werden oder in die andere und unverständlicher oder – noch schlimmer – fragwürdiger Brei.

Noch Kant konnte Blumen ausgesprochen positiven Wert beimessen im Hinblick auf ästhetische Urteile:

„Blumen sind freie Naturschönheiten. Was eine Blume für ein Ding sein soll, weiß außer dem Botaniker schwerlich sonst jemand […]. In der Beurteilung einer freien Schönheit (der bloßen Form nach) ist das Geschmacksurteil rein. Es ist kein Begriff von irgendeinem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objekte dienen und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt, wodurch die Freiheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielt, nur eingeschränkt werden würde. (Kant, Kritik der Urteilskraft, § 16)

Das zitiere ich hier nicht zuletzt deshalb, weil man eine thematisch schön passende Kant-Stelle nicht unbeachtet vorüberziehen lassen sollte, obwohl Kant hier von Blumen spricht und nicht von Blumen in der Kunst (die Kritik der Urteilskraft ist keine Abhandlung über Kunst). Nichts behindert in der Begrifflosigkeit das freie Spiel der Vorstellungskräfte.

Mehrere Gedanken können hier anknüpfen, nämlich a) dass es ein weit verbreiteter Irrtum ist, in Kants Denken sei Kunst „freie Schönheit“, denn das ist sie nicht. Man hat immer einen Begriff, eine Vorstellung, an der man misst, ob das Dargestellte beziehungsweise die Darstellung vollkommen sei, man muss also etwas über das Dargestellte wissen. Und b): Blumen sind gar nicht so begrifflos, wie hier impliziert ist – was allerdings auch dem Zeitenabstand geschuldet ist: Kant ist Zeitgenosse von Carl von Linné, der hier nur als berühmtestes Beispiel für den Beginn moderner, wissenschaftlicher Taxonomie genannt werden soll; zu Kants Lebzeiten entstand gerade erst, was wir heute unter Biologie verstehen, und es gab damals, anders als heute, keinen Biologieunterricht in der Schule, von allgemeiner Schulpflicht mal ganz zu schweigen. Wir wissen heute um Einiges mehr über Blumen als Kant und wir haben auch mehr kulturgeschichtliche Versatzstücke zu Blumen im Kopf als er (vermute ich), angefangen bei der Lilie der Verkündigung, mittelalterliche Maler, die statt einer Signatur eine Blume auf ihren Bildern unterbrachten (etwa die Nelkenmeister), die Blaue Blume der Romantik, Blumenstillleben im Barock, die Tulpenmanie in den Niederlanden Anfang des 17. Jahrhunderts, die Sprache der Blumen, in der jeder Blume eine bestimmte Bedeutung zugeordnet wird, auf die etwa Joseph Beuys in einer Arbeit anspielt – die übrigens dezidiert gesellschaftkritisch-politisch ist; Emil Noldes Blumenbilder, um nur einige zu nennen.

Um auf die zeitgenössische Kunst und die Forderung nach politischer Relevanz ihrer Themen zurückzukommen: Blumen sind keineswegs per se ein unpolitisches Thema, man denke nur an den kommerziellen Schnittblumenanbau in Südamerika oder Afrika, wo Blumen für die Wohlhabenden in der Ersten Welt von Menschen angebaut, gepflegt und gepflückt werden, die zu einem Hungerlohn arbeiten und von den verwendeten Pestiziden krank werden (glücklicherweise ist dieses Problem seit bereits mehreren Jahrzehnten so weit ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, dass es inzwischen auch fair gehandelte Blumen gibt) und die in den oft eher trockenen Anbaugebieten so viel Wasser verbrauchen, dass das Trinkwasser knapp wird; man denke an Drogen-Plantagen – wenn es um Blumen geht, also Pflanzen mit auffallenden Blüten, dann ist das hier im Besonderen Schlafmohn, aus dem Opium gemacht wird – und die mit den Drogen verbundende organisierte Kriminalität, an Auswüchse des Kapitalismus wie den Valentinstag, an das Biensterben durch Ackergifte etc.

Vermutlich hat die Angst vor dem Dekorativen auch mit einer Verwechslung des Schönen mit dem Dekor zu tun. Gisela Breitling, Freundin von Gisa Hausmann und wahrscheinlich die „Kollegin“ in obigem Zitat, schreibt in einem Text über Hausmanns Blumen:

Die Malerin Gisa Hausmann aber macht eine außergewöhnliche, verblüffende Entdeckung: Schönheit ist, ist seiend, ist Teil der Welt, ist da, eine Erkenntnis aus dem Off, notiert auf einem Kassiber, den sich die vom Zeitgeist Weggesperrten als geheime, unerlaubte Botschaft zukommen lassen. Schönheit ist eingeschmolzen in die Substanz der Welt, aber sie muss neu erkannt werden, um in unserem Dasein als seiend erfahren zu werden. Schönheit ist diejenige anstößige und Anstoß erregende Kraft der Evolution, die erstaunlicher- und konsequenterweise bislang keinen Eingang gefunden hat in die Theorien des Werdens der Welt und der Lebewesen. […] Und daher behaupte ich, dass jetzt, gegenwärtig, die Schönheit in den Künsten und für die Künste eine weit größere Herausforderung darstellt als das, was wir gewöhnlich für künstlerische Provokation halten.
(Gisela Breitling, „Gisa Hausmann oder die Paradoxie des Schönen“, in: blattgold – das kulturmagazin, Heft 2, 2005, S. 6–9, hier S. 8–9)

Die zeitgenössische Kunst selbst hält sich glücklicherweise nicht unbedingt ans Blumenverbot im Dienste der Vermeidung des Dekorativen, sondern sie stellt sich der von Breitling genannten Herausforderung, sonst müssten wir auf die bemerkenswerten Bilder in der Ausstellung verzichten.

Anna E. Wilkens

 

Galerie Wolf & Galentz

Die Galerie Wolf & Galentz zeigt Druckgraphik berühmter Meister aus Russland und Deutschland.
Von Peter Michel

Auch im Bereich der bildenden Künste ist es möglich, der allgegenwärtigen Russophobie entgegenzuwirken. Das Deutsch-Russische Forum und die deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde laden für den 18. Februar 2020 zu einer Podiumsdiskussion »Geraubte Ikonen – zerstörte Kirchen« in die Kapelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein. In der zurzeit gängigen deutschen Erinnerung bildet das ungeheure Ausmaß der Kulturzerstörung im Krieg gegen die Sowjetunion einen »weißen Fleck«. Die sowjetische Regierung bezifferte die Verluste an beweglichen Kulturgütern auf mehr als eine Million Gegenstände. Kommt die Sprache auf Kulturverluste, wird jedoch in Deutschland reflexartig auf die eigenen Kriegsverluste verwiesen.

Wenn die kleine Galerie Wolf & Galentz in der Berliner Wollankstraße sich heute entschließt, anhand eines künstlerischen Handwerks das Gemeinsame in der Historie beider Länder zu entdecken und zu präsentieren, so ist das nicht nur für Kunstinteressierte von Bedeutung, sondern es dient dem Abbau von wieder errichteten Vorbehalten, die im schlimmsten Fall zu aggressivem Denken führen. Kunst übernimmt auf diese Weise eine Vermittlerfunktion.

Andreas Wolf und Archi Galentz sind begeisterte Sammler von außergewöhnlichen Beispielen der Druckgraphik. Der Armenier Archi Galentz, dessen Werke u. a. in der GBM-Galerie und in der Ladengalerie der »jungen Welt« zu sehen waren, trug über viele Jahre hinweg Meisterwerke der Druckgraphik aus Russland und Deutschland zusammen. Im Mittelpunkt steht dabei der Holzstich, eine Sonderform des Holzschnitts, von vielen als Königsdisziplin der Druckgraphik bezeichnet. Während der Holzschnitt mit speziell geformten Messern ins längs der Faser geschnittene Langholz hineingearbeitet wird, entsteht der Holzstich durch Bearbeitung von hartem Hirnholz – meist Buchsbaum -, das quer zur Faser vom Holzblock gesägt und geglättet wurde. Auf der so entstandenen Fläche gibt es keine Maserung. Man braucht feine Stichel, um darauf zu gestalten. Damit sind akkurateste Linien und Schraffuren möglich, differenzierte Halbtöne und malerische Tonabstufungen. Diese graphische Technik wurde schon im 17. Jahrhundert genutzt, erlebte ihre Blütezeit im 19. Jahrhundert, wurde vor allem im Buch- und Pressedruck eingesetzt, verlor aber mit der Entwicklung fotomechanischer Reproduktionstechniken mehr und mehr an Bedeutung. Heute ist sie noch immer ein anspruchsvolles künstlerisches Ausdrucksmittel, gehört aber zu den seltenen Techniken.

Der Moskauer Wladimir Andrejewitsch Faworski (1886-1964) wird zu Recht als Erneuerer des Holzstichs im 20. Jahrhundert bezeichnet. Er bevorzugte historische Themen und wurde vor allem durch seine Holzstichillustrationen zu Werken von Prosper Mérimée, Dante Alighieri und Alexander Puschkin international bekannt. Von ihm ist in der Ausstellung neben einem ländlichen Motiv das 1929 geschaffene Porträt Fjodor Dostojewskis zu sehen, ein Holzstich von größter Präzision. Faworski wirkte als Anreger für zahlreiche andere russische Graphiker, z.B. für Wassili Nikolajewitsch Masjutin (1884-1955), der Riga geboren wurde, u. a. Lehrer an der WCHUTEMAS, dem russischen Äquivalent zum deutschen Bauhaus, war und 1921 während des Bürgerkrieges nach Berlin emigrierte, wo er bis zu seinem Tod lebte. Dort blieb er seinen russischen Wurzeln treu, illustrierte Werke von Alexander Blok, Dostojewski, Gogol, Puschkin, Tolstoi, Turgenjew u. a. Dieser bedeutende Holzstecher ist in der Ausstellung mit elf Arbeiten vertreten, die frühesten von 1918, die jüngste aus dem Jahr 1939 – ein Holzstich mit dem Titel »Saporoger Kosaken in der Steppe«.

Manches dieser Blätter ist – wie bei manchen anderen Künstlern auch – wegen seines Alters schon vergilbt. Der Alterungsprozess des Papiers weist darauf hin, wie wichtig es ist, solche Zeugnisse einer bedeutenden historischen Periode für die Nachwelt zu erhalten. Es wird schon zu viel vergessen.

Zu den russischen Künstlern, von denen in dieser kleinen, aber anspruchsvollen Galerie Arbeiten (nicht nur Holzstiche, sondern auch einige wenige – teils mehrfarbige – Holzschnitte, Radierungen und Lithografien) zu sehen sind, gehören Iwan Nikolajewitsch Pawlow (1872-1951), der »Volkskünstler der UdSSR« war und u. a. ein Leninporträt schuf, Alexei Iljitsch Krawtschenko (1889-1940), Pawel Alexandrowitsch Schilingowski (geb. 1881) und andere. Bei vielen fallen eindeutige sozialkritische Tendenzen auf. So gestaltete Krawtschenko nicht nur Blätter zur Unterdrückung der Frauen im Orient, sondern er illustrierte auch auf beindruckende Weise Stefan Zweigs 1927 entstandene Novelle »24 Stunden aus dem Leben einer Frau«. Schilingowski, der u. a. mit dem 1925 geschaffenen Holzstich »Selbst mit 44 Jahren« vertreten ist, verhungerte am 5. April 1942 während der Blockade Leningrads.

Da der Holzstich meist kleinformatig ist, sieht man in dieser Ausstellung viele Exlibris (Bucheignerzeichen). Und manchmal wünscht man sich eine Lupe, um die letzten Finessen erleben zu können. Die deutschen Holzstecher und Holzschneider sind mit Karl Rössing, Karl-Georg Hirsch, Inka Grebner, Wolfgang Würfel, Helena Scigala, Harald Hakenbeck, Jürgen Wenzel. Stephan Preuschoff, Conrad Felixmüller, Jürgen Wittdorf und Philipp Mager vertreten. In der DDR zählten Gerhard Kurt Müller, Egbert Herfurth, Herbert Kästner, Hans Schulze, Ursula Wendorff-Weidt, Werner Klemke, Werner Wittig und andere zu denen, die oft mit dem Holzstich arbeiteten. Über Karl-Georg Hirsch schrieb der Kunstkritiker Lothar Lang, dieser sei aus der Leipziger Holzstecherschule »als produktivster und eigenwilligster Künstler mit Bravour hervorgegangen« . Von Hirsch sind fünf Holzstiche und eine Radierung zu sehen, darunter das herausragende Blatt »Auch für Daniel Ch. «, eine Hommage an den Berliner Kupferstecher Chodowiecki. Vielleicht lag es auch an einem unterschwellig ausgetragenen Wettbewerb zwischen diesen Künstlern um den feinsten, nuancenreichsten, differenziertesten Holzstich, dass dieses graphische Handwerk in der DDR eine solche Blüte erlebte.

Die Ausstellung umfasst 97 Arbeiten von 31 Künstlern, ergänzt durch Vitrinen mit Druckmaterialien, Büchern u. ä.; eine kleine Abteilung zeigt japanische Farbholzschnitte. Die meisten Werke sind zu moderaten Preisen verkäuflich. Diese Schau verbindet Erkenntnisgewinn mit ästhetischem Genuss. Sie wurde mit Leidenschaft zusammengetragen und macht deutlich, dass der Dialog zwischen den Kulturen weit menschlicher ist als Säbelgerassel an den Grenzen Russlands.

Peter Michel

[1] Lothar Lang: Ein Leben für die Kunst. Erinnerungen, Faber & Faber Verlag Leipzig 2009, S. 123

Der Text wurde in der Wochenendausgabe von 1./2. Februar 2020 in der Zeitung Junge Welt veröffentlicht.

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

soundscapes 25

Am Sonntag , 23.  Februar 2020 gibt es ein weiteres Konzert in der Reihe „Soundscapes“ im Genre der Echtzeitmusik  bei Wolf & Galentz.

Hierzu laden wir Sie herzlich ein.
Einlass 19:30 Uhr, Beginn 20.15 Uhr
Spende für die Musiker: 12 € / 8 € (ermäßigt)

Musiker:

  • Sebi Tramontana
    Posaune
  • Frank Gratkowski
    Klarinette, Altsaxofon
  • Harri Sjöström
    Sopran- und Sopraninosaxofon
Frank Gratkowski (l), Sebi Tramontana (r), Photo: Christina Marx

Frank Gratkowski (l), Sebi Tramontana (r), Photo: Christina Marx

Sebi Tramontana

Musiker, Zeichner

Posaunist und Wahlmünchner Sebi Tramontana, bekannt als origneller Interpret und Komponist zwischen Jazz und neuer Musik sowie seit Jahren Mitglied der italienischen Allstar Formation Italian Instabile Orchestra. Zusammenarbeit unter anderem mit Mario Schiano, Frank Gratkowski, Giancarlo Schiaffini, Joelle Leandre, Paul Lovens und Carlos Zingaro.

Gastierte in Europa, Japan, den USA und Kanada.

Frank Gratkowski

Musiker, Komponist

Gratkowski erforscht Klänge und arbeitet stets an der Erweiterung seines Klangrepertoires und der Auslotung der Töne, die er auf seinen Instrumenten erzeugen kann. Besonders solo und in kleinen Besetzungen fällt die Klarheit seines Tones auf. Seine zum Teil mikrotonal orientierten Kompositionen führt er auch mit dem Multiple Joy[ce] Orchestra auf.

Gratkowski spielt in einer Reihe von verschiedenen Ensemblen; darunter seit 1999 im Duo mit Sebi Tramontana. Er ist auf fast jedem deutschen und auf vielzähligen internationalen Jazz- und Neue-Musik-Festivals aufgetreten, darunter in Vancouver, Toronto, Chicago, New York, Seattle, Quebec, Les Mans, Muelhuus, Groeningen, Nickelsdorf, Barcelona, Litauen, Warschau, Zagreb, Prag, Bratislawa, Sofia, Bukarest, Odessa, Huddersfield, London.

Er hat Saxofon und Ensemble an den Konservatorien in Köln, Berlin und Arnhem unterrichtet und gibt Workshops rund um die Welt.

Gratkowski lebt in Berlin.

 

Harri Sjöström

Harri Sjöström

Harri Sjöström

Der Finne Harri Sjöström lebt seit mehr als dreißig Jahren in Berlin, spielt Saxofon in den verschiedensten Ensembles im In- und Ausland. Seit vielen Jahren organisiert regelmäßig Projekte und Konzertreihen mit internationalen Musikerinnen und Musikern. Er ist der Initiator und künstlerische Leiter der Konzertreihe Soundscapes

Wolf & Galentz präsentiert in einer Einzelausstellung das groteske Werk von Gisa Hausmann.

Vernissage: Freitag, 15. November 2019 ab 19 Uhr

Ausstellungsdauer: 16. November bis 18 Dezember 2019

Ausstellungsansichten

Die Künstlerin Gisa Hausmann ist […] eine der unbekannten Berühmtheiten Berlins. Sie ist ein Geheimtipp. (Gisela Breitling)

Gisa Hausmann hat sich im Laufe ihres Lebens (1942–2015) unterschiedliche künstlerische Ausdrucksmittel angeeignet: von der großformatigen Zeichnung und Druckgrafik über die Malerei, mit ihren vielen Verweisen auf Geschichte und Kunstgeschichte, bis hin zu digital bearbeiteten Drucken, darunter Arbeiten in der von ihr selbst erfundenen Technik Hapix-Set. Sie beherrschte diese Ausdrucksweisen meisterhaft; „ihre traumhaft sichere Technik“ nannte das Ulrich Pätzold, und Peter Reindl formulierte, Hausmanns „Sicherheit und Ausgewogenheit der Linienführung“ werde „nur noch übertroffen von der an japanische Farbholzschnitte gemahnende Sicherheit der Farbsetzung“.

Ein immer wiederkehrendes Element in ihrem Œuvre ist das Groteske: starke Überzeichnungen, manchmal an der Grenze zur Karikatur, in unterschiedlichen Sujets. Nach zwei postumen Einzelausstellungen von Gisa Hausmann, bei denen überwiegend Werke aus den letzten Lebensjahren der Künstlerin zu sehen waren, legt die kommende Ausstellung einen Schwerpunkt auf das Frühwerk der Künstlerin aus den 1960er- und 1970er-Jahren (Malerei, Radierung, Zeichnung und Skulptur); in den ersten Schaffensjahrzehnten der Künstlerin ist das Groteske vermehrt zu finden.

Ergänzt werden diese frühen Arbeiten von etwas späteren expressiven, politisch engagierten Papierarbeiten und schließlich mehreren Hommagen, die Gisa Hausmanns Lust an der Überzeichnung und manierierten Gestik bei kunstgeschichtlichen Vorgängerinnen und Vorgängern zeigt. An den Blättern aus der „Pompeji“-Reihe, an Keramiken und an dem unvollendeten Gemälde „Una Fiesta por Francisco Goya“ aus der letzen Serie „Göttinen – Frauen – und Anderes“ arbeitete Gisa Hausmann bis zu ihrem Tode 2015.

Die kommende Ausstellung bei Wolf & Galentz ist die erste in einer Reihe geplanter Sammlungsausstellungen mit Werken von Gisa Hausmann, deren künstlerischen Nachlass die Galerie betreut. Die Betonung der frühen Schaffensphase ist als Einstieg in die geplante Ausstellungsreihe zu verstehen, die sich an der Chronologie von Hausmanns Werk orientieren wird.

„Gisa Hausmann – das groteske Werk“ zeigt einige noch nie öffentlich präsentierte Werke und solche, die seit Jahrzehnten nicht mehr in Ausstellungen zu sehen waren.

Eine umfassende Retrospektive der Künstlerin und auch eine wissenschaftliche Aufarbeitung ihres Werks steht noch aus. Wir hoffen, mit dieser Ausstellung einen kleinen Beitrag dafür zu leisten, Gisa Hausmanns Werk die Öffentlichkeit und die Anerkennung zu verschaffen, die es ohne Zweifel verdient.

Gisa Hausmann wurde 1942 in Krefeld geboren und begann bereits mit 14 Jahren ihre künstlerische Ausbildung an der Werkkunstschule Augsburg. 1964 eröffnete sie ebendort ihre eigene Galerie und erhielt 1968 den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg. Im folgenden Jahr zog sie nach Berlin um, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2015 leben sollte. Seit 1960 stellte sie ihre Werk regelmäßig im In- und Ausland aus.

Weitere Informationen: http://gisa-hausmann.de/werke.html

 

Berliner Kunstkalender
Abb. Andreeas Wolf, Aquarell

Am Dienstag , 26.  November 2019 gibt es ein weiteres Konzert in der Reihe „Soundscapes“ im Genre der Echtzeitmusik  bei Wolf & Galentz.

Hierzu laden wir Sie herzlich ein.
Einlass 19:30 Uhr, Beginn 20:15 Uhr

Musiker:

Matthias Bauer
Kontrabass

Michel Doneda
Sopran- und Sopraninosaxofon

Dag Magnus Narvesen
Schlagzeug

Harri Sjöström
Sopran- und Sopraninosaxofon


Echtzeitmusik ist freie Improvisation, bei der die MusikerInnen ohne jede vorhergehende Komposition, ohne Skript und Noten, zusammen spielen. Das Stück entsteht aus spontanen Einfällen aller. Das erfordert, damit sich ein Stück ergibt, ein besonders hohes Maß an Aufmerksamkeit aller für die anderen und auch für den Raum und die Umgebung. Soundscapes. ist eine Konzertreihe, die internationale Strömungen der Echtzeitmusik präsentiert.

Aktuelle Ausstellung bei Wolf & Galentz: Gisa Hausmann – das groteske Werk

Weitere Informationen zum Thema Echtzeitmusik finden Sie unter.

http://soundscapesberlin.de

Abbildung: Detail Aquarell Andreas Wolf

Momentan gibt es keine Ausstellung bei Wolf & Galentz zu sehen.

Informationen zur kommenden Ausstellung finden Sie hier.


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreundinnen und -freunde,

wir wünschen Ihnen einen schönen Jahresausklang und einen guten Start ins neue Jahr 2020!

Wir möchten diese Gelegenheit nutzen, einen kurzen Rückblick auf das erste Jahr Wolf & Galentz zu geben und auch einen Ausblick auf unser Programm im kommenden Jahr.

2019 Rückblick

Das erste Jahr unserer Galerie Wolf & Galentz war geprägt von internationalen Kooperationen.
In der Eröffnungsausstellung im April präsentierten wir Werke aus unseren eigenen Sammlungen aus Deutschland, den USA, Japan, Frankreich, Russland und Armenien.
Im Sommer hatten wir die Galerie LAVA Projects aus Los Angeles zu Gast.
Im Anschluss zeigte Susanna Gyulamiryan, die Kuratorin des armenischen Pavillons der diesjährigen Biennale in Venedig, ihr Projekt „Gespräche über Revolution und Macht“ in den Galerieräumen.
Im Herbst beteiligten wir uns an einem Austauschprojekt mit dem Museum für zeitgenössische Kunst Vojvodina, Novi Sad, wo wir selbst als Künstler unsere Werke im Oktober und November zeigen konnten, und präsentierten zwei Künstler aus in Novi Sad (Serbien) in unserer Galerie.
Die dann folgende Ausstellung, „Der Blick auf uns“ war als Gruppenausstellung dem Thema der Figuration gewidmet.
Im November gab es die erste Einzelausstellung in unserer Galerie. „Gisa Hausmann – Das groteske Werk“ mit Werken der 2015 verstorbenen Berliner Künstlerin war die letzte Ausstellung des Jahres.

2019 fanden auch drei Konzerte der Reihe „Soundscapes“ im Genre der Echtzeitmusik/Improvisation bei uns statt.

Dank

Wir möchten alle Gästen, Künstlerinnen und Künstlern, Kunstinteressierten und mit der Galerie verbundenen Freunden und Freundinnen für die anregenden Gespräche herzlich danken. Ein besondere Dank geht an unsere Mäzenin für die großzügige Unterstützung.

2020 Ausblick

Für das kommende Jahr haben wir mehr Einzelausstellungen konzipiert, darüber hinaus werden wir die internationalen Kooperationen weiter ausbauen und vertiefen. Eine thematische Ausstellung zu Kunst und Literatur ist in Planung und die Konzertreihe „Soundscapes“ wird fortgeführt.

Ausstellung Nr. 1, 2020
Wir freuen uns, Sie zur ersten Ausstellung im neuen Jahr mit dem Titel „Holzstich – Ausgewählte Druckgrafik aus Russland und Deutschland“ am Freitag, den 24. Januar 2020 einladen zu können und hoffen, Sie aus diesem Anlass in unserer Galerie begrüßen zu dürfen.
Mit freundlichen Grüßen

Archi Galentz, Anna E. Wilkens und Andreas Wolf

 

Künstler*innen aus Novi Sad (Serbien) präsentieren fünf Tage lang ihre Werke in den
Projekträumen Prima Center, Spor Klübü und in der Galerie Wolf & Galentz.

Vernissage: Fr., 8. November  2019 ab 19 Uhr
Besondere Öffnungszeiten: Sa. 9.11. – Di. 12.11. von 14–18 Uhr

Künstler*innen:

Mileta Poštić, Radovan Jokić (Galerie Wolf & Galentz | Wollankstraße 112A, 13187 Berlin)

Monika Sigeti, Ana Novaković (Prima Center Berlin | Biesentalerstr. 24, 13359 Berlin)

Đula Šanta, Rade Tepavčević (Spor Klübü | Freienwalder Straße 31, 13359 Berlin)


Ausstellungsansichten:


Begleitprogramm

Deutsch-Serbischer Künstleraustausch zum Thema Migration

Empfang: So, 10.11.2019, 20 Uhr
Das Wer und Was des Künstleraustausches
Drei kurze Ansprachen / Begrüßungen von Gemeinde an der
Panke (evangelisch), Museum für moderne Kunst Novi Sad und
Kolonie Wedding
Sekt, Saft, Wasser und Schnittchen (Soldiner Kiez e. V.)
Ort: Fabrik Osloer Straße 12, 2. Hinterhof Aufgang B 1. Stock

Moschee-Führung in englischer Sprache: Mo., 11.11.2019, 20 Uhr
Beten, Bildung und soziale Arbeit und das Ankommen in der Fremde
Eine größere migrantische Moschee kennenlernen
Ort: Moschee Haci Bayram, Koloniestr. 128
Deutsch mit englischer Übersetzung

Vortrag: Di., den 12.11.2019, 19 Uhr
Die Geschichte des Soldiner Kiezes
Zuwanderung von Anfang an
Diana Schaal (Soldiner Kiez e. V.) in Englisch
anschließend Balkan-Party
Ort: Prima Center Berlin, Biesentaler Str. 24
English Speaker Welcome!


In Zusammenarbeit mit  Soldiner Kiez e. V, Kolonie Wedding e. V. und dem Museum Museum of Contemporary Art Vojvodina, Serbien

Abbildung: Mileta Poštić

Neun zeitgenössische Positionen zur Figuration

Wir laden Sie und Ihre Freund*innen herzlich zur Vernissage der Ausstellung Der Blick auf uns am

Freitag, 27. September, um 19 Uhr ein.

 

Öffnungszeiten: Montag 14–19 Uhr | Sonntag 19–23 Uhr
Ausstellungsdauer: 27. 9. – 29. 10. 2019

Künstler*innen

kuratiert von Andreas Wolf


Ausstellungsansichten:


Die Ausstellung „Der Blick auf uns“ versammelt Werke von neun zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit den Themen Figuration und Porträt beschäftigen.

Der Titel der Ausstellung spielt mit einer Verschränkung von Blicken. Der Blick von uns auf die von uns geschaffenen Kunstwerke, der Blick der Gesellschaft auf uns Kunstschaffende, der Blick der Kunstwerke und der Kunstschaffenden auf Menschen und Gesellschaft und der Blick der draußen an der Galerie vorbeiziehenden Menschen auf die, die sich darin befinden …

Die Darstellung von Menschen ist im künstlerischem Schaffen vielleicht das zentrale Thema schlechthin. Abbildungen von Menschen dienten zur Ehrung und Erinnerung der Abgebildeten, dies seit Jahrtausenden. Im heutigen Stadtbild findet man immer noch monumentale Abbildungen von Herrschern, Skulpturen und Bilder von Kriegshelden, berühmten Politikern, Gelehrten, Künstlern (meist alle männlich), Geflüchteten, Verbrechern, Wissenschaftlern und anderen der Gesellschaft wichtigen Menschen. Bilder von Menschen dienen als Vorbilder, als Wahrzeichen, als Symbole für Menschlichkeit, sie dienen der kollektiven Erinnerung und sind Mittel zur Aufrechterhaltung dieser Erinnerung.
Seit den 1960er-Jahren hat sich der Begriff des Körpers und die künstlerische Auseinandersetzung mit menschlichen Körpern sehr verändert, die Performancekunst hat den menschlichen Körper selbst als Kunstmaterial entdeckt, der Körper wurde Zielscheibe oder Hindernis, er wurde erweitert durch technische Mittel, wurde digitalisiert, montiert, zerlegt und wieder anders zusammengefügt.

Die Ausstellung bei Wolf & Galentz versammelt eine kleine Auswahl von unterschiedlichen zeitgenössischen künstlerischen Sichtweisen auf menschliche Körper. Ein Augenmerk bei der Zusammenstellung wurde auf die Materialvielfalt der Werke gelegt: Ton, Aquarell, Acryl, Holz, Knete, Wolle, Sprühfarbe, Siebdruck und Glas. Die Art, wie diese Materialen verwendet wurden, unterstützt bei manchen der Werke stark das dargestellte Thema. Bis auf das Video von Fritz Stier sind alle Werke nicht zeitbasiert, also in Ruhe.

Den präsentierten Werken dieser Ausstellung ist gemeinsam, dass Sie keine Körper in Interaktion abbilden. Bei manchen Werken sind Menschen nebeneinander collagiert worden, aber nie ist eine Interaktion dargestellt; die Figuren und Porträts bieten den Betrachtenden ein Gegenüber, ein Dialog entsteht zwischen Kunstwerk und Betrachtenden.

Die auf den ersten Blick fotografische Anmutung von Jovan Balovs Porträts lässt das Material erst bei näherem Hinsehen erscheinen. Mit einem sehr kleinen Pinsel hat er in pointilistischer Malweise diese Gesichter auf der Leinwand zum Vorschein gebracht. Grundlage seiner psychologisch analytischen Porträts bilden Treffen mit dem Modell und das Fotografieren von unterschiedlichsten Gemütsausdrücken. In einem sehr langsamen Arbeitsprozess werden diese verschiedenen Zustände dann in einem einzigen Porträt zusammengeführt. Durch diese hyperrealistische Malweise grenzen sich die Werke zur fotorealistischen Malerei ab, sie suchen, durch diese leichte Überhöhung, nach dem Wesen der Porträtierten.

Veronika Witte beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit dem menschlichen Körper, dem Phänomen der Identität als einer komplexen Konstruktion und mit dem Zusammenhang von Erscheinung, Form und Wesen. Witte gründete 2001 das fiktiven Institut für sozio-ästhetische Feldforschung und entwickelte zusammen mit dem Sozialwissenschaftler Bodo Lippl an der Humboldt Universität zu Berlin einen Fragebogen, der die Basis für ihre künstlerische Feldforschung bildet; die Interviewten werden nach dem eigenen subjektiven Empfinden, Zukunftsvorstellungen zu ihrem Körper, nach den zu erwartenden sozialen Entwicklungen und auch nach der Zukunft des Menschlichen generell befragt. Die Ergebnisse der Umfrage bilden die Grundlage der künstlerischen Auseinandersetzung zum Verhältnis zwischen eigenem und fremdem Körper. Die Skulpturen, „Ghosted Bodies“, sind eines der Ergebnisse dieses Prozesses.

Ekkehard Vree schafft lyrisch anmutende Tuscheporträts, durch teilweise spontan, teilweise bedacht gesetzte Farben und verzeichnete, zu freien Formen verlaufende Kleckse. Dem im südhessischen Viernheim lebenden und arbeitenden Maler und Zeichner gelingt es mit mutig realitätsferner Farbgebung und zögerlicher Linienführung das erstaunliche Faszinosum einer wahrhaftig intimen Begegnung mit den porträtierten Menschen.

In dem Video „In Between“ von Fritz Stier hängen Menschenpaare baumelnd an der Deckenkante, nur mit ihren Händen klammern sie sich an etwas, das sich außerhalb des Bildraums befindet und so der Imagination offen ist. Die Personen schweben so lange im Bild bis sie sich nicht mehr festhalten können und fallen nach unten.

In Ute Lindners Werkreihe „Through the Looking Glass“ wurden Menschen von vorne und von hinten porträtiert und die entstandenen Bilder mit Siebdruck auf je zwei durchsichtige Glasplatten appliziert. Diese Glasplatten wurden dann mit den bedruckten Seiten nach außen übereinandergeblendet.
Christoph Kivelitz schreibt darüber: „Nicht die Gleichzeitigkeit der Spiegelsituation ist Gegenstand der Darstellung. Vielmehr sind zwei zeitlich differente Ansichten ein- und derselben Person räumlich versetzt so aufeinander bezogen, dass nur der Eindruck einer Selbstbetrachtung entsteht. Akzentuiert wird dadurch die Ambivalenz des Blicks, der auf sich selbst und gleichermaßen auf Betrachtende beziehungsweise Künstlerin ausgerichtet sein kann.“ Mit dieser Bildnisgruppe nimmt Ute Lindner Bezug auf eine grundlegende Eigenschaft der Fotografie, die sich als lichthafter Abdruck von Wirklichkeit verstehen lässt. Wie einer Ikone wird der lichtempfindlichen Oberfläche das Erscheinungsbild der Porträtierten eingezeichnet, um diese als Spur zu vergegenwärtigen, immer aber auch deren substantielle Abwesenheit vor Augen zu führen.

Edvardas Racevičius, der Litauen geboren und aufgewachsen ist, hat lange Zeit die traditionelle Ikone des katholischen Litauens geschnitzt – den trauernden Christus (lit.: rūpintojėlis). In den Holzskulpturen, die Racevičius seit einigen Jahren erschafft, ist der Sockel direkt mit der Figur verwachsen, der Mensch ist mit dem Baum verbunden und der Baum mit der Erde. Die Massivität des Stammes ist beinahe erschreckend, sie verdeutlicht die Proportionen von Natur und Mensch und das Hineinwachsen der Menschen in ihre Umwelt. Der moderne Litauer kann mit dem iPod in den Ohren umhergehen, die Beine sind aber immer noch hölzerne Klötze. Diese Arbeiten sind Zeugnisse der Mentalität eines Volkes, das lange Zeit die Erde bearbeitet und die Natur wie ein Buch gelesen hat.

Marc Haselbach zeigt in der Ausstellung einige seiner Bronzeköpfe. Die Werke zeichnen sich durch starke Abstraktion aus. Das, was uns Menschen sicherlich mit am häufigsten unter die Augen kommt, ein Kopf als Gegenüber – wird hier in einen abstrakten Raumkörper übersetzt, der uns einlädt die neu geschaffenen Formen zu umkreisen und zu interpretieren. Kennen wir diese Köpfe oder erscheint uns da etwas Neues im Bekannten? Die sowohl archaisch anmutenden und gleichzeitig in der Form hoch ästhetischen Köpfe erinnern entfernt an die rätselhaften Skulpturen der Osterinseln, an Kubismus, an etwas gleichzeitig Verschlossenes wie Offenes. Einzig die Oberfläche der Skulpturen – eine feine, an Holzmaserung erinnernde Oberfläche – ist eindeutig zu interpretieren und verweist auf die Herstellung der Bronze.

Auf dem handgewebten Wandteppich „Battlefield Shaping“ von Kata Unger hängt ein Mensch kopfüber nach unten. Eine Guy-Fawkes-Maske sitzt verkehrt herum auf dem Hinterkopf der Figur. Die Maske scheint uns anzublicken, gleichzeitig schaut die dargestellte Figur in die entgegengesetzte Richtung ins Bild hinein. Im unteren Teil des psychedelisch, dadaistisch anmutenden Bildraums steht „Fuck the Illusion“. Sollen wir der Illusion nicht trauen, die sich uns hier zeigt? Die Bedeutung bleibt, wie die abgebildete menschliche Figur, in der Schwebe.

Der Begriff Key Looks ist der Titel einer ebenfalls von Kata Unger gezeigten Werkreihe mit Porträts, die in ihrer starken Farbigkeit und Reduktion Elemente aus Malerei, Comic und Zeichnung vereinen. Die Augenpartien sind stark hervorgehoben, es scheint, dass bei manchen der Werke der Blick alles andere überstrahlt. Als seien sie lebendig geworden und die Aura des jeweiligen Blicks dann in den Porträts magisch festgehalten. Manche Menschen sollen in den Porträts schon Freunde erkannt haben.

Henrik Jacob überknetet Fotos mit schwarz-weißer Modelliermasse und lässt die Motive auf diese Weise in den Raum wachsen. Die Größe seines Daumenabdrucks bestimmt die Pixelgröße, was den Bildern eine beunruhigende Unschärfe verleiht. Durch die Veränderbarkeit des formbaren plastischen Materials arbeitet der Künstler an einer Art Antikunstgeschichte, die die Bedeutung des künstlerischen Endprodukts hinterfragt.
In der Ausstellung bei Wolf und Galentz wirft Henrik Jacob einen erweiterten Blick auf den menschlichen Körper. Dabei überknetet er Motive von Skulpturen, japanischen humanoiden Robotern oder gleich den Bodybuilder aus der Nachbarschaft. Die Knetbilder changieren zwischen Bild, Objekt und Skulptur, treten körperlich präsent an die Betrachtenden heran, um sich bei näherem Hinsehen wieder in grauen Pixelwolken aufzulösen.

Komplettiert und koloriert wird die skurrile Sammlung schwarz-weiß-grauer Körperdarstellungen durch eine Handvoll abstrakt anmutender Farbstudien in Aquarell. Die Farbstudien, die wie zufällig auf das Papier geraten erscheinen, haben ihren Ursprung in den quietschbunten Titelseiten der deutschen Regenbogenpresse. Henrik Jacob hat die grenzwertige Farbgebung und Komposition einfach übernommen und von Inhalten befreit auf Büttenpapier übertragen. So entsteht ein anderer Blick auf uns, einer der anzieht und abstößt zugleich.

In der Ausstellung geht es um uns Menschen. Und so blicken uns die Kunstwerke an, offen für den Dialog mit uns.

 

Abbildung: „In Between“, Ausschnitt Videostill von Fritz Stier