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Neun zeitgenössische Positionen zur Figuration

Wir laden Sie und Ihre Freund*innen herzlich zur Vernissage der Ausstellung Der Blick auf uns am

Freitag, 27. September, um 19 Uhr ein.

 

Öffnungszeiten: Montag 14–19 Uhr | Sonntag 19–23 Uhr
Ausstellungsdauer: 27. 9. – 29. 10. 2019

Künstler*innen

kuratiert von Andreas Wolf


Ausstellungsansichten:


Die Ausstellung „Der Blick auf uns“ versammelt Werke von neun zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit den Themen Figuration und Porträt beschäftigen.

Der Titel der Ausstellung spielt mit einer Verschränkung von Blicken. Der Blick von uns auf die von uns geschaffenen Kunstwerke, der Blick der Gesellschaft auf uns Kunstschaffende, der Blick der Kunstwerke und der Kunstschaffenden auf Menschen und Gesellschaft und der Blick der draußen an der Galerie vorbeiziehenden Menschen auf die, die sich darin befinden …

Die Darstellung von Menschen ist im künstlerischem Schaffen vielleicht das zentrale Thema schlechthin. Abbildungen von Menschen dienten zur Ehrung und Erinnerung der Abgebildeten, dies seit Jahrtausenden. Im heutigen Stadtbild findet man immer noch monumentale Abbildungen von Herrschern, Skulpturen und Bilder von Kriegshelden, berühmten Politikern, Gelehrten, Künstlern (meist alle männlich), Geflüchteten, Verbrechern, Wissenschaftlern und anderen der Gesellschaft wichtigen Menschen. Bilder von Menschen dienen als Vorbilder, als Wahrzeichen, als Symbole für Menschlichkeit, sie dienen der kollektiven Erinnerung und sind Mittel zur Aufrechterhaltung dieser Erinnerung.
Seit den 1960er-Jahren hat sich der Begriff des Körpers und die künstlerische Auseinandersetzung mit menschlichen Körpern sehr verändert, die Performancekunst hat den menschlichen Körper selbst als Kunstmaterial entdeckt, der Körper wurde Zielscheibe oder Hindernis, er wurde erweitert durch technische Mittel, wurde digitalisiert, montiert, zerlegt und wieder anders zusammengefügt.

Die Ausstellung bei Wolf & Galentz versammelt eine kleine Auswahl von unterschiedlichen zeitgenössischen künstlerischen Sichtweisen auf menschliche Körper. Ein Augenmerk bei der Zusammenstellung wurde auf die Materialvielfalt der Werke gelegt: Ton, Aquarell, Acryl, Holz, Knete, Wolle, Sprühfarbe, Siebdruck und Glas. Die Art, wie diese Materialen verwendet wurden, unterstützt bei manchen der Werke stark das dargestellte Thema. Bis auf das Video von Fritz Stier sind alle Werke nicht zeitbasiert, also in Ruhe.

Den präsentierten Werken dieser Ausstellung ist gemeinsam, dass Sie keine Körper in Interaktion abbilden. Bei manchen Werken sind Menschen nebeneinander collagiert worden, aber nie ist eine Interaktion dargestellt; die Figuren und Porträts bieten den Betrachtenden ein Gegenüber, ein Dialog entsteht zwischen Kunstwerk und Betrachtenden.

Die auf den ersten Blick fotografische Anmutung von Jovan Balovs Porträts lässt das Material erst bei näherem Hinsehen erscheinen. Mit einem sehr kleinen Pinsel hat er in pointilistischer Malweise diese Gesichter auf der Leinwand zum Vorschein gebracht. Grundlage seiner psychologisch analytischen Porträts bilden Treffen mit dem Modell und das Fotografieren von unterschiedlichsten Gemütsausdrücken. In einem sehr langsamen Arbeitsprozess werden diese verschiedenen Zustände dann in einem einzigen Porträt zusammengeführt. Durch diese hyperrealistische Malweise grenzen sich die Werke zur fotorealistischen Malerei ab, sie suchen, durch diese leichte Überhöhung, nach dem Wesen der Porträtierten.

Veronika Witte beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit dem menschlichen Körper, dem Phänomen der Identität als einer komplexen Konstruktion und mit dem Zusammenhang von Erscheinung, Form und Wesen. Witte gründete 2001 das fiktiven Institut für sozio-ästhetische Feldforschung und entwickelte zusammen mit dem Sozialwissenschaftler Bodo Lippl an der Humboldt Universität zu Berlin einen Fragebogen, der die Basis für ihre künstlerische Feldforschung bildet; die Interviewten werden nach dem eigenen subjektiven Empfinden, Zukunftsvorstellungen zu ihrem Körper, nach den zu erwartenden sozialen Entwicklungen und auch nach der Zukunft des Menschlichen generell befragt. Die Ergebnisse der Umfrage bilden die Grundlage der künstlerischen Auseinandersetzung zum Verhältnis zwischen eigenem und fremdem Körper. Die Skulpturen, „Ghosted Bodies“, sind eines der Ergebnisse dieses Prozesses.

Ekkehard Vree schafft lyrisch anmutende Tuscheporträts, durch teilweise spontan, teilweise bedacht gesetzte Farben und verzeichnete, zu freien Formen verlaufende Kleckse. Dem im südhessischen Viernheim lebenden und arbeitenden Maler und Zeichner gelingt es mit mutig realitätsferner Farbgebung und zögerlicher Linienführung das erstaunliche Faszinosum einer wahrhaftig intimen Begegnung mit den porträtierten Menschen.

In dem Video „In Between“ von Fritz Stier hängen Menschenpaare baumelnd an der Deckenkante, nur mit ihren Händen klammern sie sich an etwas, das sich außerhalb des Bildraums befindet und so der Imagination offen ist. Die Personen schweben so lange im Bild bis sie sich nicht mehr festhalten können und fallen nach unten.

In Ute Lindners Werkreihe „Through the Looking Glass“ wurden Menschen von vorne und von hinten porträtiert und die entstandenen Bilder mit Siebdruck auf je zwei durchsichtige Glasplatten appliziert. Diese Glasplatten wurden dann mit den bedruckten Seiten nach außen übereinandergeblendet.
Christoph Kivelitz schreibt darüber: „Nicht die Gleichzeitigkeit der Spiegelsituation ist Gegenstand der Darstellung. Vielmehr sind zwei zeitlich differente Ansichten ein- und derselben Person räumlich versetzt so aufeinander bezogen, dass nur der Eindruck einer Selbstbetrachtung entsteht. Akzentuiert wird dadurch die Ambivalenz des Blicks, der auf sich selbst und gleichermaßen auf Betrachtende beziehungsweise Künstlerin ausgerichtet sein kann.“ Mit dieser Bildnisgruppe nimmt Ute Lindner Bezug auf eine grundlegende Eigenschaft der Fotografie, die sich als lichthafter Abdruck von Wirklichkeit verstehen lässt. Wie einer Ikone wird der lichtempfindlichen Oberfläche das Erscheinungsbild der Porträtierten eingezeichnet, um diese als Spur zu vergegenwärtigen, immer aber auch deren substantielle Abwesenheit vor Augen zu führen.

Edvardas Racevičius, der Litauen geboren und aufgewachsen ist, hat lange Zeit die traditionelle Ikone des katholischen Litauens geschnitzt – den trauernden Christus (lit.: rūpintojėlis). In den Holzskulpturen, die Racevičius seit einigen Jahren erschafft, ist der Sockel direkt mit der Figur verwachsen, der Mensch ist mit dem Baum verbunden und der Baum mit der Erde. Die Massivität des Stammes ist beinahe erschreckend, sie verdeutlicht die Proportionen von Natur und Mensch und das Hineinwachsen der Menschen in ihre Umwelt. Der moderne Litauer kann mit dem iPod in den Ohren umhergehen, die Beine sind aber immer noch hölzerne Klötze. Diese Arbeiten sind Zeugnisse der Mentalität eines Volkes, das lange Zeit die Erde bearbeitet und die Natur wie ein Buch gelesen hat.

Marc Haselbach zeigt in der Ausstellung einige seiner Bronzeköpfe. Die Werke zeichnen sich durch starke Abstraktion aus. Das, was uns Menschen sicherlich mit am häufigsten unter die Augen kommt, ein Kopf als Gegenüber – wird hier in einen abstrakten Raumkörper übersetzt, der uns einlädt die neu geschaffenen Formen zu umkreisen und zu interpretieren. Kennen wir diese Köpfe oder erscheint uns da etwas Neues im Bekannten? Die sowohl archaisch anmutenden und gleichzeitig in der Form hoch ästhetischen Köpfe erinnern entfernt an die rätselhaften Skulpturen der Osterinseln, an Kubismus, an etwas gleichzeitig Verschlossenes wie Offenes. Einzig die Oberfläche der Skulpturen – eine feine, an Holzmaserung erinnernde Oberfläche – ist eindeutig zu interpretieren und verweist auf die Herstellung der Bronze.

Auf dem handgewebten Wandteppich „Battlefield Shaping“ von Kata Unger hängt ein Mensch kopfüber nach unten. Eine Guy-Fawkes-Maske sitzt verkehrt herum auf dem Hinterkopf der Figur. Die Maske scheint uns anzublicken, gleichzeitig schaut die dargestellte Figur in die entgegengesetzte Richtung ins Bild hinein. Im unteren Teil des psychedelisch, dadaistisch anmutenden Bildraums steht „Fuck the Illusion“. Sollen wir der Illusion nicht trauen, die sich uns hier zeigt? Die Bedeutung bleibt, wie die abgebildete menschliche Figur, in der Schwebe.

Der Begriff Key Looks ist der Titel einer ebenfalls von Kata Unger gezeigten Werkreihe mit Porträts, die in ihrer starken Farbigkeit und Reduktion Elemente aus Malerei, Comic und Zeichnung vereinen. Die Augenpartien sind stark hervorgehoben, es scheint, dass bei manchen der Werke der Blick alles andere überstrahlt. Als seien sie lebendig geworden und die Aura des jeweiligen Blicks dann in den Porträts magisch festgehalten. Manche Menschen sollen in den Porträts schon Freunde erkannt haben.

Henrik Jacob überknetet Fotos mit schwarz-weißer Modelliermasse und lässt die Motive auf diese Weise in den Raum wachsen. Die Größe seines Daumenabdrucks bestimmt die Pixelgröße, was den Bildern eine beunruhigende Unschärfe verleiht. Durch die Veränderbarkeit des formbaren plastischen Materials arbeitet der Künstler an einer Art Antikunstgeschichte, die die Bedeutung des künstlerischen Endprodukts hinterfragt.
In der Ausstellung bei Wolf und Galentz wirft Henrik Jacob einen erweiterten Blick auf den menschlichen Körper. Dabei überknetet er Motive von Skulpturen, japanischen humanoiden Robotern oder gleich den Bodybuilder aus der Nachbarschaft. Die Knetbilder changieren zwischen Bild, Objekt und Skulptur, treten körperlich präsent an die Betrachtenden heran, um sich bei näherem Hinsehen wieder in grauen Pixelwolken aufzulösen.

Komplettiert und koloriert wird die skurrile Sammlung schwarz-weiß-grauer Körperdarstellungen durch eine Handvoll abstrakt anmutender Farbstudien in Aquarell. Die Farbstudien, die wie zufällig auf das Papier geraten erscheinen, haben ihren Ursprung in den quietschbunten Titelseiten der deutschen Regenbogenpresse. Henrik Jacob hat die grenzwertige Farbgebung und Komposition einfach übernommen und von Inhalten befreit auf Büttenpapier übertragen. So entsteht ein anderer Blick auf uns, einer der anzieht und abstößt zugleich.

In der Ausstellung geht es um uns Menschen. Und so blicken uns die Kunstwerke an, offen für den Dialog mit uns.

 

Abbildung: „In Between“, Ausschnitt Videostill von Fritz Stier